HvBingen
"Jedes Geschöpf ist mit einem anderen verbunden,
und jedes Wesen wird durch ein anderes gehalten.
Die Blumen bieten eiander den Duft der Blüten an,
ein Stein strahlt seinen Glanz auf die anderen".
                                                                  Hildegard von Bingen




Himmelfahrt

Liebe Gemeinde,

„Jedes Geschöpf ist mit einem anderen verbunden,

und jedes Wesen wird durch ein anderes gehalten.

Die Blumen bieten einander den Duft ihrer Blüten an,

ein Stein strahlt seinen Glanz auf die anderen."

(Hildegard von Bingen / 1098-1179)

Ich sitze auf der Mauer.

Über mir – wie ein beschützendes Dach – die grünen Zweige der Bäume. Ich fühle mich von ihnen mehr gehalten als von der Mauer, auf der ich sitze. Wenig weiter das Plätschern des Flusses. Leichter Wind weht die Blätter der Bäume sanft hin und her. Vögel singen, Insekten summen. – Jedes Geschöpf ist mit einem anderen verbunden.

Und dann ... die Sonne. Mit ihrem Glanz strahlt sie durch die Blätter, spiegelt sich glitzernd auf den Wellen, nimmt Mückenschwarm, Wiese, Bäume und mich in ihren Glanz hinein.

„Jedes Geschöpf ist mit einem anderen verbunden,

und jedes Wesen wird durch ein anderes gehalten."

Jedes Geschöpf dieser Welt, selbst Steine und Wasser, sind miteinander verbunden, aufeinander angewiesen und halten sich gegenseitig. Und alles das – wir alle zusammen – werden gehalten von unserem Schöpfer.

Wir sind verbunden mit Gott, dem Vater; verbunden mit Gott, dem Sohn; wir sollen eins sein. So, wie der Sohn eins mit dem Vater ist.

An Himmelfahrt feiern wir nicht Jesu Weggehen, sondern wir feiern Gottes Kommen. Gott ist da, wann immer und wo immer wir uns darauf einlassen. Dann können wir ihn spüren.

Er ist da im Rauschen der Blätter. Er ist da im Spiel der Sonne mit den Wellen. Er ist da im Summen der Insekten. Gott ist in der Natur, und Gott ist in den Kirchenräumen.

Gott ist da, wo Menschen sich am weitesten von ihm entfernt wähnen: In Trauer ist er Trost. In Schwierigkeiten ist er Halt. In Ausweglosigkeiten ist er Hoffnung. In Einsamkeit ist er der andere Mensch, der mich besucht, der mich anruft und in Gedanken seine Arme um mich legt.

Gott ist da, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind und sich nicht von gähnend leeren Kirchenbänken oder spöttischen Blicken anderer abhalten lassen.

Jesus hat uns die Herrlichkeit seines Vaters weitergegeben. Darum haben wir den Auftrag, füreinander da zu sein, einander zu halten, gemeinschaftlich unser Leben zu leben. So wird Gottes Herrlichkeit konkret und ist nicht nur ein abgehobenes, himmlisches Denkmodell. Herrlichkeit Gottes darf nicht vergeudet werden oder in irgendwelchen dunklen Kanälen versickern. Ihr habt die Herrlichkeit Gottes bereits bekommen! Das sagt Jesus ganz deutlich. Ihr habt sie doch schon – ohne Anstrengungen und Klimmzüge in die Höhe. Sie ist da: Nimm sie und mach was draus!

Jesus, der Himmelfahrende und zu uns Kommende, hat uns noch etwas dagelassen: seine Liebe. Auch das sagt er uns immer wieder – gerade auch jetzt. An mangelnder oder falsch verstandener Liebe krankt doch unsere Gesellschaft heute. Mangelnde Liebe in vielen zwischenmenschlichen Verhältnissen. Statt Liebe - Gleichgültigkeit.

„Jedes Geschöpf ist mit einem anderen verbunden,

und jedes Wesen wird durch ein anderes gehalten."

So formuliert es Hildegard von Bingen vor 1000 Jahren.

An Himmelfahrt ist das noch ergänzen: Und Gott ist derjenige, der seine schützende Hand über und um uns hält. So ist der Himmel uns ganz nah!

Einen gesegneten Mai wünscht Ihnen

Ihre Pfarrerin Sabine Mosel